Hilft das Jugendschutzgesetz Betroffenen von Cybermobbing?

1. Juli 2021 | von GEGEMO | Jugendschutzgesetz

Am 01. Mai 2021 ist die vom Bundesrat verabschiedete Gesetzesreform zur Modernisierung und Anpassung des Jugendschutzgesetzes in Kraft getreten, „um Kinder und Jugendliche besser vor den Gefahren im Netz zu schützen“, wie es in einer offiziellen Stellungnahme heißt (BMFSFJ, 2021). Über die Ausgestaltung und Modalitäten der Reform scheiden sich die Geister, die Regierungskoalition erntet harsche Kritik von Opposition wie auch Expertinnen und Experten in den Bereichen Cybersicherheit und Mediennutzung. In einer Hinsicht sind sich jedoch alle einig: Eine Reform war längst überfällig.

Zuletzt wurde eine Anpassung des Medienschutzgesetzes für Kinder und Jugendliche im Jahr 2002 vorgenommen, als das Internet noch „für uns Alle Neuland“ war. Darin regelte der Bund den Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten auf Trägermedien, also beispielsweise auf Kassetten, DVDs oder CD-ROMs.

Die Zuständigkeit für Inhalte in Rundfunk- und Telemedien lag und liegt bis heute bei den Ländern.

 

Was steckt hinter der Gesetzesreform?

Laut Bundesfamilienministerin Franziska Giffey verfolgt die neue Gesetzesreform drei wesentliche Ziele: Mehr Schutz für Kinder und Jugendliche bei der Mediennutzung, eine bessere Orientierung für Eltern und Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, und zuletzt eine verstärkte Rechtsdurchsetzung gegenüber Anbietern.

Konkret sollen Anbieter von Spieleplattformen, sozialen Medien oder ähnlichem der Pflicht unterzogen werden, leicht zugängliche Hilfs- und Beschwerdesysteme einzurichten, über die Nutzerinnen und Nutzer schnell und direkt Vergehen wie beispielsweise Cybermobbing melden können.

Als Orientierungshilfe für Eltern und pädagogische Fachkräfte sollen Alterskennzeichnungen, bzw. Altersfreigaben, vereinheitlicht und neu überdacht werden. Außerdem soll verstärkt zu den Gefahren und Risiken im Netz informiert werden.

Um die Rechtdurchsetzung zu gewährleisten, wurde die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) zur Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz weiterentwickelt. Diese soll künftig die Einhaltung der Gesetzesreform seitens der Anbieter kontrollieren und gegebenenfalls durch Bußgelder oder andere Sanktionen durchsetzen.

Zusammenfassend soll das „Interaktionsrisiko“, dem Kinder und Jugendliche beispielsweise in den sozialen Netzwerken ausgesetzt sind, minimiert werden. Die Reform setzt also nicht bei den eigentlichen Inhalten des Mediums an, sondern soll vor Betrugsversuchen, Mobbing oder ähnlichem schützen.

Soweit hört sich das vielversprechend an, fast utopisch, wenn man Franziska Giffeys Ausführungen lauscht (vgl.BMFSFJ, 2021). Woher kommt also die herbe Kritik an der Reform?

 

Stimmen der Gegenseite  

Sowohl die Opposition als auch diverse Experten der Medienbranche sind mit der Gesetzesreform nicht einverstanden (Hanfeld, 2021).

Dies liegt zum einen an einem Zuständigkeitskonflikt zwischen Bund und den Ländern. Eigentlich unterliegen die Telemedien, und somit auch das Internet, den Landesregierungen und der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Viele Trägermedien haben allerdings in den letzten Jahren an Wert und Relevanz verloren, oder sind schlicht überflüssig geworden. Mit der Einrichtung der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz macht die Bundesregierung diese Kompetenzteilung streitig und spricht sich selbst eine neue Zuständigkeit aus, die bisher nur für Trägermedien galt. Die Überprüfung der Inhalte des jeweiligen Mediums bleibt dennoch weiterhin den Ländern vorbehalten. Daher wird es in Zukunft erschwert werden, die Wirksamkeit der in der Reform festgelegten Maßnahmen zu evaluieren. In einer Stellungnahme des Bundesrates heißt es: „Die Vorschrift versucht, die bisher für die Trägermedien bestehenden Regelungen auf das Internet zu übertragen und wird dabei der Vielfalt der Angebotsformen nicht gerecht“ (Höhne, 2021).

Andere Stimmen äußern auch die Sorge, dass die Vervielfältigung neuer Institutionen nur neue bürokratische Hürden mit sich bringe und die Effizienz der Maßnahmen beeinträchtige.

 

Eine weiter Problematik ergibt sich in der angedachten Rechtsdurchsetzung. Laut Giffey sollen deutsche ebenso wie ausländische Anbieter von Online-Angeboten und -Plattformen dazu verpflichtet werden, Voreinstellungen für Hilfe- und Beschwerdesysteme zu treffen. Allerdings gilt in der EU grundsätzlich das Herkunftslandprinzip, das besagt, dass ein Produkt jeglicher Art in allen EU-Ländern vertrieben werden darf, wenn es in einem EU-Land gesetzeskonform auf dem Markt gebracht worden ist.

Die hauptsächlich von Jugendlichen genutzten Plattformen, so wie Instagram, Snapchat oder Whatsapp, gehören zu Facebook und haben damit ihren Sitz im EU-Ausland, bzw. eine europäische Zentrale in Irland. Gleiches gilt für die Plattform Twitter.

Somit nimmt die Gesetzgebung wenig bis gar keinen Einfluss auf die von Kindern und Jugendlichen am meisten genutzten Dienste in Deutschland.

 

Wie steht es eigentlich um die Kinder und Jugendlichen selbst?

Die Idee hinter der Gesetzesreform lautet jugendliche Nutzerinnen und Nutzer betreffend, es gäbe fortan die Möglichkeit, im Fall von bedrohlichen oder verletzenden Äußerungen das netzwerkeigene Hilfssystem zu nutzen. Das ganze Konstrukt baut also auf der Selbstverantwortung und Eigeninitiative der jungen User.

Bei sozialen Phänomenen wie Cybermobbing stehen betroffenen Kindern und Jugendlichen jedoch häufig eigene Ängste und Schamgefühle im Weg. Oftmals mangelt es dann nicht an möglichen Ansprechpartnern, Meldestellen oder Ähnlichem. Es fällt gerade jüngeren Betroffenen von Gewalt und Ausgrenzung im Internet schwer, ihre missliche Lage offen an Dritte zu kommunizieren und sich somit das Mobbing, den Betrug oder andere Vorfälle einzugestehen. Das ist auf das kognitive, gesellschaftliche Verständnis zu Thematiken wie (Cyber-)Mobbing zurückzuführen, das noch immer stark durch Vorurteile und „Tabu-Themen“ geprägt ist. Hier verlangt es eher nach Sensibilisierung und einem allgemeinen Umdenken.

Es ist also zum einen fraglich, ob eine Verpflichtung zu beschriebenen Voreinstellungen wirklich die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen fördern kann.
Zum anderen ist nicht klar formuliert, was bei geschieht, sobald ein Vorfall dem Anbieter gemeldet wurde.

Die Anwendungsbereiche der Hilfs- und Beschwerdesysteme sind breit gefächert. Einige meldewürdige Handlungen lassen sich klar als Straftaten deklarieren, so z.B. Betrug oder Belästigung. Die meisten fallen allerdings in die rechtliche Grauzone, darunter auch (Cyber-)Mobbing. Diese lassen sich wiederum nur sehr schwer rechtlich nachverfolgen und greifbar machen.
Es stellt sich also die Frage, inwiefern diese Ausgestaltung der neuen Gesetzesreform Mobbingtäter tangiert und sie von ihrem Verhalten abzubringen vermag.

Abschließend lässt sich klar sagen, dass die Gesetzesreform nicht ausreichen wird, um das Internet zu einem für Kinder und Jugendliche sicheren Raum umzugestalten. Es bleibt abzuwarten, ob sich messbare Unterschiede ergeben, und wie Anbieter aus dem EU-Ausland auf die Gesetzesänderung reagieren werden.

Es ist jedoch außer Frage, dass die Maßnahmen nicht zum Ende von Cybergewalt, Mobbing oder Belästigungen über Online-Plattformen führen. Zwar ist es als einen Schritt in die richtige Richtung zu werten, allerdings braucht es noch weit, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen.

Sinnvollere Ansätze wären hier beispielsweise, die rechtlichen Grauzonen auszumerzen und bürokratische Hürden abzubauen, pädagogische Fachkräfte umfassend zu schulen und die Allgemeinheit zu informieren und zu sensibilisieren.

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